EURE SCHEINHEILIGKEIT
[Bismarck Denkmal Hamburg ]
Auf dem riesigen Sockel steht der stolze Otto von Bismarck ‐ zu groß zu mächtig ‐ so viel Ehre muss
hinterfragt werden. Sein Ruhm zu Lebzeiten und seine immense Glorifizierung nach seinem Tod zeugen
von einem übertrieben Heldenstatus. Eine ganze Nation hat den eisernen Kanzler, den
imperialistischen Kolonialpolitiker, den politischen Jongleur, den Reichseiniger zu ihrem Heiligen
hochstilisiert. Das Bild dieser verklärten Ikone wird durch einen verrutschten Heiligenschein „gerade“
gerückt.
Das übergroße Denkmal soll durch eine einfache Intervention in einem neuen Licht erstrahlen. Ein
Heiligenschein aus Messing, welcher weit nach unten verrutscht ist und so Bismarck starren Blick
verdeckt, soll den Betrachtern neue Blickwinkel bieten und einladen Fragen zu stellen. Wie ein Trabant
kreist der kreisrunde Heiligenschein um den steinernen Kopf des eisernen Kanzlers.
Ein Universum an Fragen und Möglichkeiten soll die Welt der nachfolgenden Generationen zu einer
besseren machen.
Vom Heiligenschein zur Scheinheiligkeit ‐ Schon seit der Antike schmückten sich Herrscher jeglicher
Kulturen und Religionen mit Strahlenkränzen, Gloriolen, Mandorlas, Nimbusse oder Heiligenscheine.
Der Nimbus ist in der Kunst ein Symbol für Mächtige, Erleuchtete, Heilige oder Götter. Dieses einfache
Stilmittel erhöht die Person, entrückt sie aus der Welt der Sterblichen und entbindet sie von jeder
Haftung für das Weltliche. Der Schein dieses leuchtenden Kranzes trübt den Blick und lässt so auch
große Schatten schwinden. Ein verrutschter Heiligenschein hingegen zieht die Person beinahe ins
Lächerliche. Diese Lichtkrone ist nun kein Zeichen der Erleuchtung mehr, sondern eher der Verblendung,
der Blindheit oder der Scheinheiligkeit.
Die Kolossalstatue wird so „entzaubert, die Überhöhung des Geehrten schwindet und wir können
getrost das Vergangene hinterfragen.
Kunstintervention am Boden: Am Fuße der Statue am Podest und der Plattform werden in Anlehnung
an den „verrutschten“ (Schein)Heiligenschein, Messingkreise im Boden aufgebracht/eingelassen.
Diese Sternschnuppen der Geschichte sollen die Intervention erklären und Wege aufzeigen. In den
goldenen Kreisen sind Textbotschaften, Fragen und Fakten gemeißelt oder gefräst. Diese „gefallenen“
Heiligenscheine verbinden Kopf und Fuß und verdeutlichen die Notwendigkeit Bismarck neu zu
denken. Es könnte der Start eines Parcours sein, welcher auch ins Innere des Denkmals führt oder im
Elbpark und Umgebung seine Kreise zieht.
Im Sockel schlummert der nächste mächtige Feind. Die Hohlräume des Denkmals wurden 1939 bis
1941 mit 2.000 Tonnen Beton zu Luftschutzbunkern umgebaut. Goldene Hakenkreuze, riesige Adler
und Eichenkränze zierten und zieren das Innenleben der Bismarckstatue und fragwürdige
Textpassagen und Zitate von Bismarck haben sich in die meterdicken Wände gefressen: „Nicht durch
Reden und Majoritätsbeschlüsse werden große Fragen entschieden, sondern durch Eisen und Blut“.
Diese Höhlenräume des Schreckens müssen in ein Museum verwandelt werden und mit eindeutigem
Kontext als Mahnung dienen.
Der steinerne Bismarck mit verrutschtem Heiligenschein wäre nun dazu bereit.
Hamburg, 2023
Messing Ring
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